Kurzgeschichten, Poesie

Der Tag, an dem wir tanzten.

Noch mit geschlossenen Augen koste ich den Morgen voll aus, rekle mich, spüre in meinen Körper hinein. Versinke in meiner inneren Welt. Das betrachtende und fühlende Ich setzt einen Fuß vor den anderen, spürt den Sand durch die Zehen rieseln, die leichte Wärme kitzelt meine Fußsohlen. Angenehm weich landen meine nicht zu Ende gedachten Gedanken auf dem Borkumer Strand.

Du sitzt schon da, genießt das Rauschen des Meeres und den Gesang der Möwen, die schon am frühen Morgen diesen Tag preisen, bist vollkommen präsent in diesem Moment. Ich sehe förmlich, wie dein Herz tanzt, weil du dich zu Hause fühlst, weil du den Frieden in dir spürst.

Ich fühle, was du fühlst, denn ich bin du und du bist ich, wir sind eins. Das Einzige, was sich unterscheidet, sind unsere Blickwinkel und das Umgehen mit dem Erlebtem. Denn du lebtest schon früher als ich in einer Welt, die dunkler war.

Seit dem Moment, in dem ich begriff, wie wichtig es ist, dir zu verzeihen, dich anzunehmen, dich zu lieben und vor allem, mich überhaupt erst mit dir, deinen Erfahrungen und deiner Gefühlswelt auseinanderzusetzen, ist dieser Ort unser Treffpunkt. Eine wunderbare Bühne, auf der sich so vieles abspielt.

Nachdem wir für kurze Zeit stumm nebeneinandersitzen und die Präsenz des jeweils anderen vollends auskosten, betrachte ich den Beutel, der neben dir liegt. Langsamen Schrittes gehe ich auf ihn zu, um ihn anzuheben, was sich als nicht einfach erweist, da er so schwer ist, dass meine Arme zittern, während ich ihn hochhalte. In ihm befinden sich Steine, auf denen geschrieben steht, was du von dir denkst, aber nicht mehr denken möchtest.

Behutsam widmen wir uns dem ersten Stein, auf dem Scham geschrieben steht. Mit voller Kraft schleudere ich ihn Richtung Meer und sehe ihm beim Sinken zu. Gut fühlt es sich an, ein Stück der Last loszuwerden. Den nächsten nimmst du: Du musst dich anpassen.

Weg mit dir!“, rufst du. Mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht wirfst du ihn in das Meer und begrüßt das Ploppen mit einem freudigen Aufschrei. „Wohohohohoooooo“, schallt es über den Strand.

Würden hier noch andere Menschen mit uns verweilen, hättest du sie sicher mit deiner Euphorie anstecken können. Nach und nach leert sich der Beutel, wir finden darin Sätze wie: Du bist nicht genug. Du musst immer klein beigeben. Du musst die Ziele anderer priorisieren, statt deiner eigenen. Du musst mehr auf andere achten als auf dich selbst. Du musst es allen recht machen.

Mit jedem Stein, den wir sinken sehen, wird der Wellengang stärker und lässt die Kraft des Meeres in uns übergehen. Voller Freude und Tatendrang tanzen wir ganz wild um Sandburgen herum, die der Wind noch nicht hinfort getragen hat. Dein Lachen hallt noch nach, nachdem ich die Augen öffne, um diesen Tag voll auszukosten.

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Kurzgeschichten, Poesie

Sprich aus, was brennt.

Dein Blick, so gestochen scharf, auf’s Kleinste fixiert. Nimmt wahr, erinnert dich an dein gestriges Heute. Du riechst noch die Erinnerungen, als wären sie Eins mit dir. Ein Teil deiner Haut, als würdest du alles nochmal erleben, spüren.
Du erinnerst dich daran, wie sie im leichten Schein an der Kante des Sofas saß und ihre Haare sanft auf ihr Gesicht fielen, während sie in ihrem Lieblingsbuch In meinen Träumen läutet es Sturm schmökerte. Ihr Gesicht, so makellos, diese sanften, weltoffenen Augen, die dich so oft an Nichts denken ließen, da du einfach nur im Moment des Glücks versunken warst, um ihre Anwesenheit zu genießen. Mehr brauchtest du nicht. Du warst angekommen.
Doch gestern ist schon lange vorbei. Als du in das Zimmer tratst, hob sie den Kopf und umfasste dein Wesen mit einem ernsten Blick, der nichts Gutes zu verheißen hatte. Du wusstest schon lange, tief in deinem Innern, dass dieser Moment bald kommen würde, du spürtest die Distanz, die von Tag zu Tag größer wurde, drückender, bis ihr in zwei ganz anderen Welten Zuhause wart.
Während du sie betrachtetest, prasselten Gedanken auf dich ein, Dinge, die du sagen könntest Mein Zuhause ist kein Ort, das bist du – doch du bleibst stumm, da du weißt, dass sie ihre Entscheidung schon vor einiger Zeit getroffen hat. Doch heute, ja, da wünschtest du, du hättest ausgesprochen, was dir auf der Seele brannte und noch immer brennt, um nicht zu sagen, du bist noch immer Feuer und Flamme.

Ich bin riesig, aber du viel größer als ich.
Alles jetzt, alles wichtig,
aber wichtiger als du ist mir nichts.

Singst du in Gedanken und bist weit entfernt vom Heute. Im Damals verweilend, als ihr zu diesem Song eng umschlungen vor der Bühne standet und deine Welt noch in Ordnung war.

© Nelli H.

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Kurzgeschichten

Große Veränderungen in unserem Leben können eine zweite Chance sein. – Harrison Ford

 

Sanfter, kalter Wind umweht dein schönes, markantes Gesicht, das geziert ist mit einem Lächeln. So schön, dass ich weinen möchte. Schon lange habe ich es nicht mehr an dir gesehen. Diese Bewegung deiner Mundwinkel musstest du aufs Neue lernen. Hattest es vor langer Zeit schier vergessen.
Doch heute ist alles anders. Die Welt ist fröhlicher geworden, weil du es auch bist. Lange Zeit hast du dich in den Regen gestellt und nicht mehr vom Fleck bewegt, standest still und ließest deinen Körper das kühle Nass einsaugen. Doch dein Durst nach Seelenfrieden, nach Stille, nach innerer Gelassenheit konnte nicht gestillt werden. Jedes Mal aufs Neue gingst du nach draußen und standest dort, hast gewartet, auf den einzigen Menschen, der deinen Schmerz etwas weniger werden lassen konnte. Dich dort so zu sehen, ließ mich jedes Mal innerlich zerbrechen. Doch auch ich konnte nicht mehr tun, als zu warten, dass du wieder gehen würdest. Dass du wieder hereinkommen würdest, um dich am Kaminfeuer zu wärmen.
Den dampfenden Kakao, den ich meist vor dich stellte, rührtest du nicht an. Wir beide folgten den Bewegungen des Dampfes, der sich tänzelnd nach oben bewegte, nach rechts und links bis er verschwunden war.
Kein Wort löste die Stille ab, denn es gab nichts mehr zu sagen. Kein Wort hätte etwas ändern können, denn sie waren es, die einst alles zerstörten.
Die unsere heile Welt versinken ließen, in den lodernden Flammen des Hasses, der alles verschlang.
Dich. Mich. Uns alle.
Die Verbrennungen der Seele saßen tief. Doch jeder Schritt, der uns weiter von dort entfernte, ließ die Wunden etwas heller werden.
Fast vergaßen wir, dass es ein Leben vor dem Weggang gegeben hat. Fast. Oder wir dachten zumindest, dass wir es taten, dass wir es könnten. Doch manchmal haben die schützenden Mauern ein paar Risse, lassen etwas Dunkel heraus.
Doch niederreißen kann es uns nur noch manchmal, selten, so selten, dass man es gerade so verkraften kann, gerade so standhalten kann.
Irgendwann ließest du los, hörtest auf zu warten. Hörtest auf zu warten, auf die eine Person, von der du dachtest, sie könne dir helfen, den Schmerz von dir nehmen, ihn erleichtern.
Nachdem du begriffen hattest, dass sie nicht kommen würde, hast du aufgehört. Aufgehört zu warten. Von einem Tag auf den anderen.
Du hast eingesehen, dass du selbst diese Person bist. Die, die alles ändern kann.

– © Nelli H.

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Kurzgeschichten

| Das Spukhotel |

Alles begann damit, dass eine Schulklasse in eine weit entfernte Stadt fuhr, um ihren Abschluss zu feiern. Jeder freute sich darauf, denn auch enge Freunde und die Familie konnten mitgenommen werden. So kam es, dass ich meinen Bruder und meine Mutter mitnahm. Doch schon bald sollte die ausgelassene Menschenmenge erfahren, dass es keinerlei Grund zur Freude gab, denn dies sollte eine Klassenfahrt werden, wie sie noch niemals jemand erlebt hatte.
Die Ankunft verlief problemlos, schnell hatten sich die Gruppen gefunden, die gemeinsam ein Zimmer beziehen wollten. Das Hotel war ein riesiges Gebäude mit unendlich vielen Treppen, noch mehr Zimmern und einer Menge Personal.
Die Atmosphäre war sehr angenehm, eine harmonische Helle umgab uns. Alles war einladend eingerichtet, alles in allem ein Hotel, in dem man sich sehr wohlfühlte.
Ich teilte mir ein Zimmer mit Kate, wir richteten uns ein und genossen den herrlichen Ausblick auf einen wundervoll glitzernden See, auf dem Enten ihre Kreise zogen.
Am ersten Tag stand eine Erkundungstour der Stadt auf dem Plan, wir hatten jede Menge Spaß, trafen viele aufgeschlossene Menschen, besuchten ein Museum expressionistischer Kunst und erforschten in kleineren Gruppen die Essgewohnheiten der Stadt.
Am späten Abend trafen wir wieder im Hotel ein, viele begaben sich schon zu Bett, da sie noch erschöpft von der Anreise waren, manche setzten sich noch an die Bar, um über Gott und die Welt zu diskutieren.
Der zweite Tag, ein wundervoller Herbsttag, lud dazu ein in den nahegelegenen Park zu gehen. Alle waren schon unten vor dem Eingang des Hotels, da wir uns dort versammeln wollten. Als ich unten an der Rezeption ankam, fiel mir jedoch ein, dass ich mein Portemonnaie im Zimmer hatte liegen lassen, sodass ich noch mal nach oben lief. Oben angekommen, sah man auf den ersten Blick, dass sich einiges verändert hatte. Die Zimmer waren plötzlich anders angeordnet, die Helligkeit in den Gängen war verschwunden. In der Luft lag etwas Drückendes. Eingestehen wollte ich mir dies jedoch nicht und begab mich weiterhin auf die Suche unseres Zimmers. Auf halbem Wege kam mir Kate entgegen, die ebenfalls unser Zimmer suchte. Wir konnten uns einfach nicht erklären, wie es möglich sein konnte, dass es verschwunden war.  Wir fragten aus lauter Verzweiflung das Personal. Ein dunkelhaariger, mürrisch aussehender Mann mittleren Alters führte uns zu einem Zimmer, welches jedoch nicht unseres sein konnte. Denn daneben prangte in schwarzer Schrift die Zahl „13“  und darunter stand der Name „Lord Stevens“.
Schon die ganze Zeit fragte ich mich, was es mit diesen Namen auf sich hatte, denn nicht einmal die Bediensteten hatten eine Antwort darauf. Nachdem Kate und ich eine Zeitlang baff vor diesem Zimmer verharrten, kam uns ein älterer Herr, extrem vornehm gekleidet und ein Junge, vielleicht sein Enkel, entgegen. Nachdem sie uns begrüßt hatten, waren sie spurlos verschwunden, auch in den anderen Gängen konnten wir sie nicht mehr erblicken.
Merkwürdigerweise waren unsere Mitschüler und deren Bekannte wieder zurück, wir erfuhren, dass sie gerade wieder vom Ausflug in den Park zurückkamen. Dies bedeutet, dass wir schon seit Stunden hier umherirrten.
Wir erklärten unseren Freunden, dass unser Zimmer seltsamerweise verschwunden war, doch sie erklärten uns für verrückt und zeigten uns den Vogel.
Ich stand gerade auf einem Stuhl, um den gesamten Gang überblicken zu können, da ich meinen Bruder suchte, denn ich wusste, dass er mir Glauben schenken würde.
Plötzlich merkte ich, dass unter mir kein Boden mehr war, der Stuhl schwebte. Meine Höhenangst schnürte mir die Kehle zu. Um mich herum Stille. Panik packte mich. Plötzlich Gerenne, Schreie. Die Kluft unter mir wurde immer größer. Der Stuhl fing an zu schwenken. Mir wurde schlecht. Ich musste hier weg. Irgendwie. Ich sprang. Klammerte mich an etwas. Es war der Rand des Bodens. Meine Hände waren rutschig, Angstschweiß hatte sich auf ihnen ausgebreitet. Konnte nicht denken, hatte schon abgeschlossen. Da kam etwas aus der Dunkelheit, eine Hand und ergriff die meine. Zog mich hoch. Ich saß auf dem hartem, kalten Boden. Spürte die blanke Panik. Mich umsehend, konnte ich meinen Retter nicht erblicken. Ich atmete ein und aus. Meine Fassung hatte mich wieder. Der Boden verschwand immer mehr. Ich rannte los, warnte alle, die noch weiter hinten im Gang waren. Sie begriffen schnell, glaubten mir, denn plötzlich war es noch finsterer, stiller. So still, dass man Gänsehaut bekam. Auf der Treppe stolperte ich, irgendetwas fiel mir auf den Kopf, mir wurde schwarz vor Augen.
Irgendwann wachte ich auf, mein Kopf tat weh und brannte. Um mich herum war nichts mehr, das Hotel war weg, einfach weg. Schlagartig war ich auf den Beinen. Schaute mich um, keine Menschenseele war hier. Der Platz war düster, kalt und unheimlich. Schatten umgaben mich.
„Da bist du ja endlich!“, flüsterte eine kratzige, bedrohliche Stimme …

© Nelli Halter.

PS: Dies ist eine weitere Geschichte, die auf einem (Alb-)Traum basiert.

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Kurzgeschichten

| Gefangen im Irgendwo. |

Wir schrieben das Jahr 2010, jedoch war ich mir nicht sicher, ob das der Wahrheit entsprach, die meiste Zeit war alles so anders, so verschwommen und ergab keinen Sinn. Am Kalender prangte der 17. Februar, der Tag, auf den Gabe und ich uns schon so lange gefreut hatten, da wir heute unsere zukünftigen Professoren und die Universität von innen sahen. Daran, wie wir hier hinkamen, erinnerte ich mich nicht mehr. Wir fanden uns in einem großen Raum wieder, der die reinste Menschenmasse war. Viele Freunde von mir waren dort, ich wusste nicht, was sie hier taten, denn sie studierten alle schon seit einiger Zeit, doch Zeit zum Fragen blieb nicht.
Plötzlich wechselte der Schauplatz, ich saß alleine in einem Auto, das nicht mir gehörte und machte die Stadt unsicher. Ein riesen Spaß, so empfand ich es, zumindest noch zu diesem Zeitpunkt. Die Umgebung hatte sich irgendwie verändert, jedoch wusste ich nicht, wie genau. Die Sonne hatte sich verflüchtigt, da fiel es mir auf: Theater, Kinos, Imbissbuden, all‘ das war nicht mehr da. Erst jetzt bemerkte ich, dass die kleinen Gassen, durch die ich fuhr, wie leer gefegt waren, nicht ein Laut war zu hören, selbst das Auto machte keine Geräusche. Alles, was ich sah, waren bedrohlich aussehende Äste, Dunkelheit und ein Hauch von Nichts. Keine Menschenseele.
Wie von Zauberhand stand ich plötzlich neben dem Auto, es leuchtete auf und klappte zusammen, als wäre es ein Blatt Papier, das man zusammenfaltete. Es schrumpfte auf die Größe eines Schlüssenanhängers und fand sich danach auf meiner Handfläche wieder.
Ich versuchte für all das eine Erklärung zu finden. Doch in meinem Kopf tat sich nichts, zu sehr überforderte mich die Situation. Ich wusste weder wo ich mich befand, noch was ich tun sollte. Wie es aussah, musste ich das auch nicht, denn als ich mich umdrehte, stand jemand neben mir. Er stellte sich als Pete vor. Ich hatte ihn noch nie gesehen, er hatte schwarzes Haar, braune Augen und war mittelgroß. Sein Gesichtsausdruck war immer der gleiche, er hatte einfach keine Mimik. Ich konnte nicht glauben, dass seine Gesichtszüge nie wechselten und starrte ihn voller Hoffnung auf Veränderung an, doch nichts geschah. Ich riss mich von seinem leeren Blick los und nahm die Umgebung wahr.
Ich konnte es nicht glauben, wir befanden uns auf einer Rolltreppe, die im Schneckentempo nach oben schoss, um uns herum war Gemurmel zu hören. Endlich nicht mehr allein im Dunkeln. Oben angekommen, zeigten sich endlos scheinende Gänge, unendlich viele Türen, es hingen keine Bilder an den Wänden und auch sonst sah ich keine Dekoration, die das Gebäude etwas fröhlicher erscheinen ließ, das Licht war gedämmt, Fenster gab es keine. Ich fragte mich, wie man in dieser Atmosphäre lernen konnte. Pete folgte mir auf dem Schritt, auch, wenn ich ihn nicht kannte, fühlte es sich gut an, nicht mehr allein herumzuirren. Neben den Türen waren keine Schilder angebracht, die Aufschluss darüber gaben, welche Vorlesung sich dahinter befand. Also musste man wohl blindlings in sein Unglück stolpern.
Ich öffnete die nächste Tür, Pete war dicht neben mir. Kaum linsten wir unschlüssig durch den Türspalt, starrten uns alle an. Hauptsächlich erblickten wir ältere Personen, die einer Messe beiwohnten. Ich bin kein religiöser Mensch, doch meine Intuition sagte mir, dass es besser wäre, wenn wir uns dazusetzen würden. Nachdem wir uns gesetzt hatten, verging die Zeit sehr langsam, denn der Pfarrer redete endlos. Er las aus der Bibel vor, doch mir kam es so vor, als würde er die ganze Bibel vorlesen. Meine Geduld hatte ein Ende, ich stand auf und eilte aus der linken Tür, hinaus auf den Gang. Ein paar Sekunden später war auch Pete wieder an meiner Seite. Ich fand ihn suspekt, doch besser er, als ich allein.
Es brach Tumult aus und wir waren wohl der Auslöser.
„Diese irreligiösen Bengel machen wir fertig!“, so erklang es zwischen „Amen“ und „Erhöre uns, oh Herr.“
Wir machten, dass wir davon kamen, egal wo hin. Das Rennen ließ uns ermüden, wir pausierten kurz, da erschienen der Pfarrer und eine rundliche Frau, die einen rosa Hosenanzug trug, der so grell war, dass meine Augen brannten.  Sie warfen etwas nach uns, das uns zitternd zu Boden fallen ließ. Alles schmerzte, doch ich raffte mich auf, musste raus aus diesem Alptraum. Ich sah mich schnell um, hinter uns ein tiefblaues Becken, so groß wie ein Swimmingpool, gefüllt mit grünem, stinkendem Wasser. Dahinter ein monströser Baum, der ein riesiges, klassisch gebautes Zauntor hindurch blicken ließ.
Meine letzte Chance, ich reichte Pete meine Hand. „Es ist zwecklos, es ist zwecklos“, entgegnete er und ignorierte meine dargebotene Hand. Ich wusste nicht recht, was er damit meinte, also rannte ich los, umrandete das stinkende Wasser, ließ den Baum hinter mir, der hämisch lachte, als ich auf seiner Höhe war. Doch mich wunderte hier gar nichts mehr. Ich quetsche mich durch das Tor, das mich fortan von dieser komischen Welt trennte. Doch wie es aussah, hatte ich mich gehörig getäuscht. Der Pfarrer rief verächtlich: „Ich wünsche dir viel Spaß, hier bei uns.“
Ich drehte mich in seine Richtung, sah, wie er Pete an einen Ast des monströsen Baumes hing, die Hand schwenkte und der Ast sich langsam herunter ließ, Pete tauchte immer weiter in das grüne Flüssige unter ihm, bis er vollends verschwunden war. Kein Laut war zu hören. Der Geistliche sah mich mit blitzenden Augen an, schwenkte abermals seine Hand, diesmal jedoch in meine Richtung. Er und die pummelige Frau lachten, so laut, dass meine Ohren dröhnten. Sie sprangen auf, wurden zu Raben und flogen davon. Irgendetwas geschah mit mir, Angst durchzog meinen Körper, ich konnte mich nicht mehr bewegen. Er hatte irgendetwas mit seinem Handschwenker ausgelöst, eine Welle von Veränderung, doch ich war nicht heiß darauf zu erfahren, was als nächstes geschah. Mit Neugier war ich an diesen Ort gekommen und dachte, dass hier meine Zukunft stattfinden würde. Das sollte sie wohl auch, doch anders, als ich es mir gewünscht hatte. Noch so viel wollte ich erleben, doch mein Leben war ausgelebt, davon war ich überzeugt. Kaum hatte ich diesen Gedanken fertig gedacht, fing die Veränderung an. Mein Körper dehnte sich, wuchs in die Höhe und Breite, aus meinen Fingern sprossen Äste, so dunkel, wie die Hoffnungslosigkeit. So lange ich konnte, schrie ich, das war das letzte, was dieser Ort von mir zu hören bekam.
Ich war von nun an gefangen in diesem Baum, ich war der Baum, meine Wurzeln waren mit der Erde verwachsen, niemals mehr würde ich diesen Ort verlassen, zu groß war die Verbundenheit mit der verfaulten Erde und dem Entgültigen. Zwar war ich kein Mensch mehr, doch konnte ich noch sehen, fühlen und denken, doch es gab nichts, was man fühlen oder sehen konnte. Ich zermaterte mir den Verstand darüber, wie ich hierher gekommen war, was das alles zu bedeuten hatte, doch die Antwort fand sich nicht. Doch eines wusste ich nun. Der Unbekannte, den ich vor langer Zeit hier getroffen hatte und der für kurze Zeit mein Gefährte war, hatte keine Mimik, weil er in der Gleichgültigkeit festgefroren war.

© Nelli Halter.

PS: Dies habe ich vor einiger Zeit geträumt. Hoffentlich hattet Ihr Freude beim Lesen! 🙂

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Kurzgeschichten

| Atemzug |

Mit langsamen Schritten trat ich aus dem Tührrahmen, Schritt für Schritt in Richtung Freiheit. Den Balast der letzten Tage hatte ich in den Gedankenströmungen verloren. Wie lebensmüde Geister sind sie vom Abhang gesprungen.
Als ich ihnen so nachgesehen hatte, fing ich an, an die Zukunft zu denken.
Doch alle Sätze, die mir diesbezüglich durch den Kopf gingen, ließen sich nicht zu Ende denken.
So drehte ich hastig das Segel herum und war wieder angekommen, in dem Moment, der mich gerade in den Armen hielt.
Um mich herum war es grün, es roch nach frisch gemähtem Gras, Bänke wurden von der Sonne gewärmt und Trampelpfade schlängelten sich durch die grüne Landschaft. Wo diese wohl hinführten?
Um dies zu erkundschaften, fehlte die Zeit. Denn ich hatte einen Entschluss gefasst, hatte ein Ziel vor Augen. Es war tief und kalt.
Schon seit längerem träumte ich davon, zu tun, was ich noch nicht geschafft hatte, denn es blieb einfach keine Zeit mehr es hinauszuzögern.
Nach kurzer Zeit fing ich an zu rennen, nichts hielt mich mehr. Der Wind peitschte mir ins Gesicht, es schien fast, als würde er mich aufhalten wollen. Doch dies ließ mein Wille nicht zu.
Jedes Jahr gab es einen Tag, an dem ich mich auf den Weg machte, einen dunklen Pfad zu nehmen. Dieser führte mich stets unbewusst zu einem unfreundlichen Ort.
An diesem saß ich stundenlang vor einem schwarzen Loch, das sich aus der Erde drückte. In diesem war meine Fröhlichkeit begraben. Ich war mir nicht ganz sicher, wieso ich jedes mal an diesen Ort zurückkehrte. Ist Fröhlichkeit wirklich so wichtig im Leben? Ist es nicht viel wichtiger überhaupt am Leben zu sein? Konnte man sich sein Leben nicht schön reden und hoffen, dass man eines Tages wieder lachen konnte?
Wieso ich meine Mundwinkel nicht mehr nach oben ziehen konnte, um diesen fröhlichen Laut auszustoßen, wusste ich nicht mehr.
Denn den Grund hatte ich mitsamt der Fröhlichkeit begraben. Manchmal gab es Momente, in denen ich mich an mein altes Leben annäherte, ob dies nun gut oder schlecht war, konnte ich mir bis heute nicht beantworten.
Ohne Vergangenheit ist man nichts. Doch wäre es nicht manchmal von Vorteil, keine zu haben? Sie neu zu erschaffen? Sich selbst neu zu erfinden und somit jemand „Neues“, „Anderes“ zu sein?
Menschen, die mir wichtig waren, habe ich schon immer von mir gestoßen. Ein ewiges Manko.
Niemand würde es also merken, wenn ich mich verändern würde.
Entschlossenen Schrittes, ging ich, während ich diesen Gedanken nachhing, immer weiter, in Richtung meines Ziels.
Nicht mehr lange und ich war angekommen. Ob ich mich dann traute, es zu tun, wusste ich nicht. Das einzige, was mich trieb, war die Hoffnung. Die Hoffnung, nie mehr diesen dunklen Ort besuchen zu müssen. Mich nie mehr so elend fühlen zu müssen, wie immer an diesem Tag.
Dieser Tag sollte in meinem weiteren Leben nicht mehr existieren. Das hatte ich mit mir selbst ausgehandelt. Diese Entscheidung hatte mich mehr als 10 Jahre gekostet. Dieser Tag sollte mir helfen, mich nicht mehr an mich selbst erinnern zu müssen. Dieser Tag sollte das Blatt wenden.
Denn schaffte man es nicht, seinen Willen zu brechen, sein altes Leben mit einem entscheidenden Schritt von einem zu trennen, könnte man vergessen, auszubrechen.
Immer würde man in sein altes Muster verfallen. Immer wieder würde man sich einreden, alles sei in Ordnung, so wie es ist. Doch ich war es leid, immer den gleichen Gedanken nachzuhängen. War es leid, dass mein Wille mich so in der Hand hatte und mir ständig Vergangenes in die Fresse schlug. Ich war es leid, nicht Herr über mich zu sein. Dies musste sich schleunigst ändern.
Endlich. An den Klippen angekommen. Der Blick nach unten. Atemberaubend. Beängstigend.
Die Wellen überschlugen sich, brachen an den Klippen und waren daraufhin wieder eins mit der See. Dies war eine sich wiederholende Prozedur. Dieser Anblick war hypnotisierend, ließ mich fast vergessen, was ich vorhatte.
Rückwärts, Schritt für Schritt. Ich zählte mit. Nach hundert kleinen Schritten blieb ich stehen. Atmete tief ein und aus. Holte mir den Mut zurück. Der Mut, der mir half, meinen Willen zu stärken. Meinen Willen, über diese Klippe und somit über meinen Schatten zu springen.
Genug gedacht. Zeit für Taten.
Ich rannte los, schlug mich jedesmal kraftvoll mit einem Bein vom Boden ab, wurde immer schneller. Am Rand der Klippe angekommen, blieb ich nicht stehen, sondern sprang. Ein Sprung in die Zukunft. Der freie Fall war belebend schön.
Als ich die Wasseroberfläche durchbrach, umhüllte mich die kalte See. Kälte, die mich endlich aufwachen ließ.
Nach unten sinkend, dachte ich an nichts. Das erste mal. Meine Augen waren geschlossen, umso intensiver war das Gefühl. Das Gefühl der Kälte, der Weckruf drang laut an mein Ohr, ich saugte ihn auf.
Das Gefühl von Freiheit durchströmte meinen Geist. Mein Herz explodierte, ohne einen Laut von sich zu geben, warf die Steine, die daran hafteten, ab. Setzte sich erneut zusammen und war federleicht. Das Pochen war ab diesem Moment schmerzfrei.
Der Moment des Absinkens passierte in Zeitlupe. Genauso langsam drang ich auch wieder an die Wasseroberfläche. Warf meinen Kopf zurück und gab der See ein paar Tropfen ihrer Masse zurück. Dies war der erste Atemzug meines neuen Lebens.
Luft durchströmte jede einzelne Zelle meines Körpers, die Muskeln waren angespannt und doch entspannt, durchströmten mich mit Kraft, mit Lebensenergie.
Der erste Atemzug meines neuen Lebens.

© Nelli H.

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Kurzgeschichten

| Zwischen Innen und Außen |

Als ich die Augen aufschlug, blickte ich in deine Augen, in deine blauen, wärmespendenden Augen.
Etwas benommen, richtete ich meinen Blick fest auf deinen… doch du warst verschwunden. Deine Anwesenheit konnte ich noch spüren, sie riechen.
Doch du warst nicht mehr da.
Du hattest mich verlassen, genauso, wie du es damals getan hattest. Genauso hattest du es wieder getan.
In dem Moment, als ich genau dies das erste mal realisierte, zersprang mein Herz, die Scherben spießten mich von innen auf, nahmen mir die Luft zum Atmen, zersprengten meine Lunge, brachen meine Knochen. Der Schmerz ließ mich fühlen, dass ich lebte, dass ich frei war, tun und lassen konnte, was ich schon seit langem wollte. Ich sein.
Doch in dem Moment, in dem du gegangen warst, wollte ich das nicht mehr.
Zwischen Innen und Außen befand ich mich fortan.
Immer hin und her gerissen zwischen zwei Welten. Die eine konnte mir das bieten, was die andere nicht vermochte.
Meine Unentschlossenheit ließ mich in der Mitte verweilen, entscheiden konnte ich mich nie, lief immer davon, schob alles und jeden von mir, wollte nichts fühlen, nur den Atem der Welt spüren. Das reichte mir für den Moment.
Stundenlang konnte ich auf einer Bank sitzen, die Wolken betrachten, die den samtblauen Himmel schmückten und ab und an weiterzogen. Wie die Enten ihre Kreise auf dem klaren See drehten, hatte fast etwas Hypnotisches für mich, was Magisches.
Es ließ mich aus dem Labyrinth fliehen, aus dem ich mich selbst hätte befreien können. Doch die Kraft und vor allem der Mut sind mir schon vor langer Zeit davongelaufen.
An dem Tag, an dem du gegangen bist, habe ich mir vorgenommen, dem schwebendem Sein zwischen dem Hier und Damals zu beenden, mir Hilfe zu suchen. Doch in dem selben Moment, in dem ich dies dachte, war der Gedanke auch schon verflogen.
An dem Tag, an dem du gingst, wurde mir schlagartig klar, dass dein Lachen verblasst war. Zwar lachtest du beizeiten, doch kam dies nicht mehr aus der Tiefe deines Herzens, es war oberflächlich, nicht echt. Es berührte nicht mehr.
Du hattest deine überschwängliche Art, deine Herzlichkeit und Wärme in all den Jahren verblassen lassen, wenn nicht sogar schon verloren.
Deine Seele spiegelte sich nicht mehr in deinen Augen. Sie war gegangen, hatte sich eingeschlossen, in ihrer eigenen Kiste, bedeckt mit dunkler Erde, durch die kein Licht mehr zu dringen vermochte.

© Nelli H. H.

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