Kurzgeschichten

| Das Spukhotel |

Alles begann damit, dass eine Schulklasse in eine weit entfernte Stadt fuhr, um ihren Abschluss zu feiern. Jeder freute sich darauf, denn auch enge Freunde und die Familie konnten mitgenommen werden. So kam es, dass ich meinen Bruder und meine Mutter mitnahm. Doch schon bald sollte die ausgelassene Menschenmenge erfahren, dass es keinerlei Grund zur Freude gab, denn dies sollte eine Klassenfahrt werden, wie sie noch niemals jemand erlebt hatte.
Die Ankunft verlief problemlos, schnell hatten sich die Gruppen gefunden, die gemeinsam ein Zimmer beziehen wollten. Das Hotel war ein riesiges Gebäude mit unendlich vielen Treppen, noch mehr Zimmern und einer Menge Personal.
Die Atmosphäre war sehr angenehm, eine harmonische Helle umgab uns. Alles war einladend eingerichtet, alles in allem ein Hotel, in dem man sich sehr wohlfühlte.
Ich teilte mir ein Zimmer mit Kate, wir richteten uns ein und genossen den herrlichen Ausblick auf einen wundervoll glitzernden See, auf dem Enten ihre Kreise zogen.
Am ersten Tag stand eine Erkundungstour der Stadt auf dem Plan, wir hatten jede Menge Spaß, trafen viele aufgeschlossene Menschen, besuchten ein Museum expressionistischer Kunst und erforschten in kleineren Gruppen die Essgewohnheiten der Stadt.
Am späten Abend trafen wir wieder im Hotel ein, viele begaben sich schon zu Bett, da sie noch erschöpft von der Anreise waren, manche setzten sich noch an die Bar, um über Gott und die Welt zu diskutieren.
Der zweite Tag, ein wundervoller Herbsttag, lud dazu ein in den nahegelegenen Park zu gehen. Alle waren schon unten vor dem Eingang des Hotels, da wir uns dort versammeln wollten. Als ich unten an der Rezeption ankam, fiel mir jedoch ein, dass ich mein Portemonnaie im Zimmer hatte liegen lassen, sodass ich noch mal nach oben lief. Oben angekommen, sah man auf den ersten Blick, dass sich einiges verändert hatte. Die Zimmer waren plötzlich anders angeordnet, die Helligkeit in den Gängen war verschwunden. In der Luft lag etwas Drückendes. Eingestehen wollte ich mir dies jedoch nicht und begab mich weiterhin auf die Suche unseres Zimmers. Auf halbem Wege kam mir Kate entgegen, die ebenfalls unser Zimmer suchte. Wir konnten uns einfach nicht erklären, wie es möglich sein konnte, dass es verschwunden war.  Wir fragten aus lauter Verzweiflung das Personal. Ein dunkelhaariger, mürrisch aussehender Mann mittleren Alters führte uns zu einem Zimmer, welches jedoch nicht unseres sein konnte. Denn daneben prangte in schwarzer Schrift die Zahl „13“  und darunter stand der Name „Lord Stevens“.
Schon die ganze Zeit fragte ich mich, was es mit diesen Namen auf sich hatte, denn nicht einmal die Bediensteten hatten eine Antwort darauf. Nachdem Kate und ich eine Zeitlang baff vor diesem Zimmer verharrten, kam uns ein älterer Herr, extrem vornehm gekleidet und ein Junge, vielleicht sein Enkel, entgegen. Nachdem sie uns begrüßt hatten, waren sie spurlos verschwunden, auch in den anderen Gängen konnten wir sie nicht mehr erblicken.
Merkwürdigerweise waren unsere Mitschüler und deren Bekannte wieder zurück, wir erfuhren, dass sie gerade wieder vom Ausflug in den Park zurückkamen. Dies bedeutet, dass wir schon seit Stunden hier umherirrten.
Wir erklärten unseren Freunden, dass unser Zimmer seltsamerweise verschwunden war, doch sie erklärten uns für verrückt und zeigten uns den Vogel.
Ich stand gerade auf einem Stuhl, um den gesamten Gang überblicken zu können, da ich meinen Bruder suchte, denn ich wusste, dass er mir Glauben schenken würde.
Plötzlich merkte ich, dass unter mir kein Boden mehr war, der Stuhl schwebte. Meine Höhenangst schnürte mir die Kehle zu. Um mich herum Stille. Panik packte mich. Plötzlich Gerenne, Schreie. Die Kluft unter mir wurde immer größer. Der Stuhl fing an zu schwenken. Mir wurde schlecht. Ich musste hier weg. Irgendwie. Ich sprang. Klammerte mich an etwas. Es war der Rand des Bodens. Meine Hände waren rutschig, Angstschweiß hatte sich auf ihnen ausgebreitet. Konnte nicht denken, hatte schon abgeschlossen. Da kam etwas aus der Dunkelheit, eine Hand und ergriff die meine. Zog mich hoch. Ich saß auf dem hartem, kalten Boden. Spürte die blanke Panik. Mich umsehend, konnte ich meinen Retter nicht erblicken. Ich atmete ein und aus. Meine Fassung hatte mich wieder. Der Boden verschwand immer mehr. Ich rannte los, warnte alle, die noch weiter hinten im Gang waren. Sie begriffen schnell, glaubten mir, denn plötzlich war es noch finsterer, stiller. So still, dass man Gänsehaut bekam. Auf der Treppe stolperte ich, irgendetwas fiel mir auf den Kopf, mir wurde schwarz vor Augen.
Irgendwann wachte ich auf, mein Kopf tat weh und brannte. Um mich herum war nichts mehr, das Hotel war weg, einfach weg. Schlagartig war ich auf den Beinen. Schaute mich um, keine Menschenseele war hier. Der Platz war düster, kalt und unheimlich. Schatten umgaben mich.
„Da bist du ja endlich!“, flüsterte eine kratzige, bedrohliche Stimme …

© Nelli Halter.

PS: Dies ist eine weitere Geschichte, die auf einem (Alb-)Traum basiert.

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Kurzgeschichten

| Gefangen im Irgendwo. |

Wir schrieben das Jahr 2010, jedoch war ich mir nicht sicher, ob das der Wahrheit entsprach, die meiste Zeit war alles so anders, so verschwommen und ergab keinen Sinn. Am Kalender prangte der 17. Februar, der Tag, auf den Gabe und ich uns schon so lange gefreut hatten, da wir heute unsere zukünftigen Professoren und die Universität von innen sahen. Daran, wie wir hier hinkamen, erinnerte ich mich nicht mehr. Wir fanden uns in einem großen Raum wieder, der die reinste Menschenmasse war. Viele Freunde von mir waren dort, ich wusste nicht, was sie hier taten, denn sie studierten alle schon seit einiger Zeit, doch Zeit zum Fragen blieb nicht.
Plötzlich wechselte der Schauplatz, ich saß alleine in einem Auto, das nicht mir gehörte und machte die Stadt unsicher. Ein riesen Spaß, so empfand ich es, zumindest noch zu diesem Zeitpunkt. Die Umgebung hatte sich irgendwie verändert, jedoch wusste ich nicht, wie genau. Die Sonne hatte sich verflüchtigt, da fiel es mir auf: Theater, Kinos, Imbissbuden, all‘ das war nicht mehr da. Erst jetzt bemerkte ich, dass die kleinen Gassen, durch die ich fuhr, wie leer gefegt waren, nicht ein Laut war zu hören, selbst das Auto machte keine Geräusche. Alles, was ich sah, waren bedrohlich aussehende Äste, Dunkelheit und ein Hauch von Nichts. Keine Menschenseele.
Wie von Zauberhand stand ich plötzlich neben dem Auto, es leuchtete auf und klappte zusammen, als wäre es ein Blatt Papier, das man zusammenfaltete. Es schrumpfte auf die Größe eines Schlüssenanhängers und fand sich danach auf meiner Handfläche wieder.
Ich versuchte für all das eine Erklärung zu finden. Doch in meinem Kopf tat sich nichts, zu sehr überforderte mich die Situation. Ich wusste weder wo ich mich befand, noch was ich tun sollte. Wie es aussah, musste ich das auch nicht, denn als ich mich umdrehte, stand jemand neben mir. Er stellte sich als Pete vor. Ich hatte ihn noch nie gesehen, er hatte schwarzes Haar, braune Augen und war mittelgroß. Sein Gesichtsausdruck war immer der gleiche, er hatte einfach keine Mimik. Ich konnte nicht glauben, dass seine Gesichtszüge nie wechselten und starrte ihn voller Hoffnung auf Veränderung an, doch nichts geschah. Ich riss mich von seinem leeren Blick los und nahm die Umgebung wahr.
Ich konnte es nicht glauben, wir befanden uns auf einer Rolltreppe, die im Schneckentempo nach oben schoss, um uns herum war Gemurmel zu hören. Endlich nicht mehr allein im Dunkeln. Oben angekommen, zeigten sich endlos scheinende Gänge, unendlich viele Türen, es hingen keine Bilder an den Wänden und auch sonst sah ich keine Dekoration, die das Gebäude etwas fröhlicher erscheinen ließ, das Licht war gedämmt, Fenster gab es keine. Ich fragte mich, wie man in dieser Atmosphäre lernen konnte. Pete folgte mir auf dem Schritt, auch, wenn ich ihn nicht kannte, fühlte es sich gut an, nicht mehr allein herumzuirren. Neben den Türen waren keine Schilder angebracht, die Aufschluss darüber gaben, welche Vorlesung sich dahinter befand. Also musste man wohl blindlings in sein Unglück stolpern.
Ich öffnete die nächste Tür, Pete war dicht neben mir. Kaum linsten wir unschlüssig durch den Türspalt, starrten uns alle an. Hauptsächlich erblickten wir ältere Personen, die einer Messe beiwohnten. Ich bin kein religiöser Mensch, doch meine Intuition sagte mir, dass es besser wäre, wenn wir uns dazusetzen würden. Nachdem wir uns gesetzt hatten, verging die Zeit sehr langsam, denn der Pfarrer redete endlos. Er las aus der Bibel vor, doch mir kam es so vor, als würde er die ganze Bibel vorlesen. Meine Geduld hatte ein Ende, ich stand auf und eilte aus der linken Tür, hinaus auf den Gang. Ein paar Sekunden später war auch Pete wieder an meiner Seite. Ich fand ihn suspekt, doch besser er, als ich allein.
Es brach Tumult aus und wir waren wohl der Auslöser.
„Diese irreligiösen Bengel machen wir fertig!“, so erklang es zwischen „Amen“ und „Erhöre uns, oh Herr.“
Wir machten, dass wir davon kamen, egal wo hin. Das Rennen ließ uns ermüden, wir pausierten kurz, da erschienen der Pfarrer und eine rundliche Frau, die einen rosa Hosenanzug trug, der so grell war, dass meine Augen brannten.  Sie warfen etwas nach uns, das uns zitternd zu Boden fallen ließ. Alles schmerzte, doch ich raffte mich auf, musste raus aus diesem Alptraum. Ich sah mich schnell um, hinter uns ein tiefblaues Becken, so groß wie ein Swimmingpool, gefüllt mit grünem, stinkendem Wasser. Dahinter ein monströser Baum, der ein riesiges, klassisch gebautes Zauntor hindurch blicken ließ.
Meine letzte Chance, ich reichte Pete meine Hand. „Es ist zwecklos, es ist zwecklos“, entgegnete er und ignorierte meine dargebotene Hand. Ich wusste nicht recht, was er damit meinte, also rannte ich los, umrandete das stinkende Wasser, ließ den Baum hinter mir, der hämisch lachte, als ich auf seiner Höhe war. Doch mich wunderte hier gar nichts mehr. Ich quetsche mich durch das Tor, das mich fortan von dieser komischen Welt trennte. Doch wie es aussah, hatte ich mich gehörig getäuscht. Der Pfarrer rief verächtlich: „Ich wünsche dir viel Spaß, hier bei uns.“
Ich drehte mich in seine Richtung, sah, wie er Pete an einen Ast des monströsen Baumes hing, die Hand schwenkte und der Ast sich langsam herunter ließ, Pete tauchte immer weiter in das grüne Flüssige unter ihm, bis er vollends verschwunden war. Kein Laut war zu hören. Der Geistliche sah mich mit blitzenden Augen an, schwenkte abermals seine Hand, diesmal jedoch in meine Richtung. Er und die pummelige Frau lachten, so laut, dass meine Ohren dröhnten. Sie sprangen auf, wurden zu Raben und flogen davon. Irgendetwas geschah mit mir, Angst durchzog meinen Körper, ich konnte mich nicht mehr bewegen. Er hatte irgendetwas mit seinem Handschwenker ausgelöst, eine Welle von Veränderung, doch ich war nicht heiß darauf zu erfahren, was als nächstes geschah. Mit Neugier war ich an diesen Ort gekommen und dachte, dass hier meine Zukunft stattfinden würde. Das sollte sie wohl auch, doch anders, als ich es mir gewünscht hatte. Noch so viel wollte ich erleben, doch mein Leben war ausgelebt, davon war ich überzeugt. Kaum hatte ich diesen Gedanken fertig gedacht, fing die Veränderung an. Mein Körper dehnte sich, wuchs in die Höhe und Breite, aus meinen Fingern sprossen Äste, so dunkel, wie die Hoffnungslosigkeit. So lange ich konnte, schrie ich, das war das letzte, was dieser Ort von mir zu hören bekam.
Ich war von nun an gefangen in diesem Baum, ich war der Baum, meine Wurzeln waren mit der Erde verwachsen, niemals mehr würde ich diesen Ort verlassen, zu groß war die Verbundenheit mit der verfaulten Erde und dem Entgültigen. Zwar war ich kein Mensch mehr, doch konnte ich noch sehen, fühlen und denken, doch es gab nichts, was man fühlen oder sehen konnte. Ich zermaterte mir den Verstand darüber, wie ich hierher gekommen war, was das alles zu bedeuten hatte, doch die Antwort fand sich nicht. Doch eines wusste ich nun. Der Unbekannte, den ich vor langer Zeit hier getroffen hatte und der für kurze Zeit mein Gefährte war, hatte keine Mimik, weil er in der Gleichgültigkeit festgefroren war.

© Nelli Halter.

PS: Dies habe ich vor einiger Zeit geträumt. Hoffentlich hattet Ihr Freude beim Lesen! 🙂

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Poesie

Gedankenurlaub.

Gedanken, eingebettet in wolligem Geflecht.
Ruhen aus,
von diesem Weltenlärm.
Von dieser furchtbaren Zornesausbreitung.

Diese Unentschlossenheit mancher.
Lässt mich unruhig atmen,
lässt mich wellig werden.
Gedankenzerschmelzung.
Gedankenverlust.
Gehirnstopp.
Ganz sacht.
Zurückschieben,
den Gedankenstrom.

Umschlungen von beruhigendem poetischen Schwall,
nicke ich dieser Ruhe zu.
Sie wiegt mich ganz leise hin und her.
Bettet mich weich in dieser Stille.
Einzig der Wind umhüllt das Schweigen
mit einer sanften Symphonie.
Legt mich nieder, auf die Meeresmatratze.

Sie schwankt.
Ich falle.
Lande auf hartem Beton.
Autolärm.
Menschenhetze.
Arbeitsstress.
Sturmwarnung.

© Nelli Halter.

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Poesie

Blutrotes Pergament.

© Nelli H.

© Nelli H.

Vor mir liegend, blutrotes Pergament.
Deine Schrift wohnt darin, hat sich fein säuberlich darauf niedergelassen.
Ich möchte meinen Blick abwenden, möchte die Botschaft nicht lesen. Meine Augen nach rechts lenkend, um die kahle Wand zu betrachten, festigt der Blick sich nicht. Möchte weiterwandern, so lange, bis das Rot sich in den Pupillen spiegelt.
So dunkelrot, wandern die Worte meine Arme hinauf, hinterlassen blutrote Spuren, hinauf, nisten sich in meinen Gedanken ein.
Die Hände, sie haben sich verselbstständigt, haben stoisch nach dem Pergament gegriffen und halten es fest, so fest, dass meine Fingerkuppen ganz weiß werden.
Das Pergament ist schwer, es brennt wie Feuer in meinen Händen.
Jedes Wort lässt einen Fluss von Erinnerungen aus meinen Augen weichen. Doch niemals, niemals mehr wollte ich in jenen schwimmen.

© Nelli H.

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